Samstag, 24. Januar 2009
 
Slowenien: Immer noch 4000 Staatenlose PDF Drucken E-Mail
Geschrieben von amnesty international   
Donnerstag, 29. März 2007

Seit 1992 leben Menschen als U-Boote bei Österreichs südlichem Nachbarn — Opfer der Staatenwerdung Sloweniens in der Folge der Abspaltung von Jugoslawien.

Vor 15 Jahren, kurz nach der Unabhängigkeit Sloweniens, wurden mehr als 18.000 in Slowenien lebende Menschen aus dem slowenischen Melderegister gestrichen. Ihr Vergehen: Sie hatten entweder nicht um die slowenische Staatsbürgerschaft angesucht oder ihre Anträge waren abgelehnt worden. Die meisten der Betroffenen waren BürgerInnen anderer ex-jugoslawischer Teilrepubliken nicht-slowenischer oder gemischt-ethnischer Herkunft, darunter auch viele Roma, die seit Jahren in Slowenien lebten.

Durch die ”Löschung” verloren sie den Zugang zu legaler Arbeit, Wohnungen, Sozialleistungen, Pension, Gesundheitsversorgung und Bildungseinrichtungen. Das Vorgehen Sloweniens stellt eine massive Verletzung des Internationalen Paktes über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte und des völkerrechtlich verankerten Prinzips der Nicht-Diskriminierung dar.

Die bisherigen Maßnahmen der Regierung, um den Status der ”Gelöschten” zu regulieren, waren schleppend und unzureichend. Nach wie vor ist die Lage von rund 4.000 Menschen nicht geklärt. Darüber hinaus hat die slowenische Regierung bisher keine Schritte zur Wiedergutmachung für die massiven, sozialen, wirtschaftlichen und psychologischen Auswirkungen auf die Betroffenen gesetzt.

Durch die Löschung aus dem Register wurden die Betroffenen zu Ausländern oder Staatenlosen, die sich illegal oder nur vorübergehend in Slowenien aufhielten. Ohne ständiges Aufenthaltsrecht waren sie somit vom Arbeitsmarkt ausgeschlossen und verloren Pensions- und Sozialversicherungsansprüche. Auch der Zugang zur Gesundheitsversorgung und Bildungseinrichtungen wurde stark eingeschränkt. Einigen von ihnen wurden Ausweise und Papiere abgenommen und vernichtet. Manche erhielten Ausweisungsbescheide und mussten das Land verlassen.

Betroffene Personen

Der im Kosovo geborene und Romani-stämmige Ali Berisha wurde 1992 ”gelöscht” und ein Jahr später nach Albanien abgeschoben. Die albanischen Behörden überführten ihn zurück nach Slowenien. Ali Berisha suchte daraufhin in Deutschland um Asyl an. Nach der Ablehnung seines Antrags kehrte er 2005 mit seiner Familie freiwillig nach Slowenien zurück. Am 1. Februar 2007 wurde er auf Grundlage eines Gerichtsbeschlusses nach Deutschland ausgewiesen. Dort droht ihm die Abschiebung in den Kosovo, wo Diskriminierung und Übergriffe gegen ethnische Minderheiten an der Tagesordnung sind.

Sulejman Sabljakoviæ und seine Frau Ziba, beide in Bosnien und Herzegowina geboren, kamen 1962 nach Slowenien. Ihre Tochter Sejana Sabljakoviæ kam 1978 in Slowenien zur Welt. 1992 wurde die Familie ”gelöscht”. Sulejman verlor 1993 seinen Job als Mechaniker und Sejana durfte nach Abschluss der Pflichtschule keine weitere Ausbildung beginnen, da sie keine gültigen Papiere hatte. Erst im Jahr 2000, als ihr die slowenische Staatsbürgerschaft zuerkannt wurde, konnte sie eine weiterführende Schule besuchen. Ihre Eltern erlangten erst 2003 die slowenische Staatsbürgerschaft. Sulejman Sabljakoviæs Pensionsanspruch hat sich durch die vielen Jahre ohne Beitragszahlungen jedoch erheblich verringert. Familie Sabljakoviæ wartet bis heute auf Wiedergutmachung für das erlittene Unrecht.

Der gebürtige Bosnier Sejdo Mušiæ, Jahrgang 1950, lebt seit 1968 in Slowenien. 1991 brach er sich ein Bein und wurde operiert. Nach seiner ”Löschung” verlor er jedoch sämtliche Ansprüche auf Gesundheitsversorgung und erhielt keine weitere Behandlung. Noch heute sind Narben und offene Wunden an seinem Bein zu erkennen. Auch Sejdo Mušiæs rechtlicher Status ist nach wie vor ungeklärt.

Dragica Lukiæ, 1963 in Bosnien und Herzegowina geboren, zog 1981 nach Slowenien. 1984 kam ihre Tochter Dijana mit geistiger Behinderung zur Welt. Zum Zeitpunkt der ”Löschung” war Dijana bei ihrer Großmutter in Bosnien und Herzegowina, wo sie sich auch heute noch befindet, weil sie keinen anerkannten Status in Slowenien besitzt. Da weder Mutter noch Tochter Reisepapiere besaßen, konnten sie sich jahrelang nicht sehen. Darüber hinaus musste Dragica Lukiæ die Gesundheitsversorgung während ihrer zweiten Schwangerschaft und Geburt ebenso wie die Impfungen und Behandlungen für ihre 1998 geborene Tochter Adelisa aus eigener Tasche bezahlen. Erst 2003 erhielten sie und Adelisa die slowenische Staatsbürgerschaft. Bis dato hat Dragica Lukiæ keinerlei Wiedergutmachung erhalten und kann mit ihrer Tochter Dijana nicht dauerhaft zusammenleben.

Menschenrechtliche Bewertung

Der Menschenrechtskommissar des Europarats hat bereits 2003 und 2006 auf die erschreckenden Lebensbedingungen der ”Gelöschten” in Slowenien und die Vorenthaltung ihrer sozialen Rechte hingewiesen. Auch der UNO-Ausschuss für wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte kritisierte im November 2005, dass die slowenische Regierung das Recht der ”Gelöschten” auf Arbeit, soziale Sicherheit, Gesundheitsversorgung und Bildung verletzt habe.

amnesty international fordert, dass die slowenische Regierung die Statusfrage für alle betroffenen Personen im Einklang mit den Menschenrechten regelt und die Entschädigungsfrage für bereits begangene Menschenrechtsverletzungen endgültig klärt. Ein positives Handeln der slowenischen Regierung ist auch deshalb von besonderer Bedeutung, weil die EU 2007 zum Europäischen Jahr der Chancengleichheit für alle erklärt hat und Slowenien im ersten Halbjahr 2008 als erster der ”neuen” EU-Mitgliedsstaaten den EU-Ratsvorsitz übernehmen wird.

Quelle http://www.amnesty.at/aktionen/2007/slowenien/

amnesty internationale bittet darum, Appelle an die österreichische Außenministerin Plassnik, die EU-Ratsvorsitzende Merkel und den für Justiz und Inneres zuständigen EU-Kommissar Frattini zu schicken, sich bei der slowenischen Regierung nachdrücklich für eine rückwirkende Zuerkennung des Aufenthaltsrechts aller Gelöschten” und eine angemessene Wiedergutmachung einzusetzen:

Ursula Plassnik, Bundesministerium für auswärtige Angelegenheiten, Minoritenplatz 8, 1014 Wien, Fax: 050 11 59-0;

Angela Merkel, EU-Ratsvorsitzende/Bundeskanzlerin der Bundesrepublik Deutschland, Bundeskanzleramt, Willy-Brandt-Str. 1, 10557 Berlin, Deutschland, Fax: 0049 30 4000 2357;

Franco Frattini, Vizepräsident der Europäischen Kommission, European Commission, 1049 Brussels, Belgien, Fax: 0032 2 292 13 49.

Emailadressen sowie Brieftextvorschläge finden sich unter oben angeführter Quelle.


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